Wie ich euch berichtete, war ich Ende November im Radio. Das war eine gleichermaßen aufregend-schöne und angsteinflößende Erfahrung.

Ein Radioredakteur aus Erfurt hatte mich im Internet gefunden. Meine erste Reaktion war Stolz. Wow, dachte ich. Ich werde wahrgenommen. Ich werde als Expertin befragt.

Doch zuerst spielte das Universum erst noch seine Spielchen mit mir. Nach dem Erstkontakt geschah nämlich – nichts. Ich probierte zwei verschiedene Mailadressen, die ich im Netz gefunden hatte und zwei Telefonnummern. Und ich erreichte genau niemanden.

Ein paar Tage haderte ich mit dem Schicksal, doch dann beschloss ich, dass es vielleicht doch nicht hatte sein sollen. Mit anderen Worten: ich ließ die Idee los. Und wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, war ich eine Spur erleichtert.

Die Tücken der Technik

Zwei Tage später hatte ich den Redakteur morgens erneut an der Strippe. Er hätte wiederholt versucht, mir seine Kontaktdaten per Mail zu schicken, doch es sei alles als unzustellbar zurückgekommen. Merkwürdig. Meine Mailadressen funktionieren normalerweise einwandfrei.

Ok. Keine Ahnung, warum die Technik so gezickt hatte, aber nun vereinbarten wir einen Aufnahmetermin und tauschten sämtliche Kontaktdaten aus.

Die Nacht vor der Aufnahme machte ich kein Auge zu. Ich hatte mich extra morgens verabredet, um sicher zu sein, dass mein Sohn noch schläft und nicht mitten in der Aufnahme meine Aufmerksamkeit verlangt.

Lampenfieber

Was soll ich sagen? Während ich auf die Tischplatte starrte und auf den Anruf wartete, stand ich kurz vor dem Total-Blackout. Mein gesamtes Ich-träum-ständig-von-Theateraufführungen-wo-ich-den-Text-nicht-kann-Trauma schlug an und sandte meinen Körper in den Freeze-Mode. Und ich konnte erstmal nix dagegen tun, außer es wahrzunehmen.

Doch soviel blieb von meinem Denken glücklicherweise noch übrig, dass ich merkte, was geschah. Ich wandte alle mir bekannten Trauma-Strategien an, machte Reiki, erdete mich, verwendete Klopftechniken, warf einen Ball in die Luft und reihte gedanklich sogar meine gesamte Ahnenreihe hinter mir auf – die Panik, die jeden Augenblick loszubrechen drohte, lauerte dennoch dicht unter der Oberfläche.

Dissoziiert

Entsprechend dissoziiert stolperte ich in das Gespräch. Dass der Redakteur dabei diesen typischen Wir-gehen-jetzt-live-Ton anschlug, half auch nicht gerade, sandte dies doch ein permanentes Gefahr! Renn weg! an mein umnebeltes Gehirn.

Mein erster Satz war ein gefühlter Bandwurmsatz ohne Punkt und Komma. Ich redete immer weiter, um ja nicht den Faden zu verlieren. Ich stolperte über Worte, verhaspelte mich, fand allmählich etwas besser in meinen Rhythmus, und irgendwann passierte es – ich verlor tatsächlich den Faden.

Bann gebrochen

Ab da war der Bann seltsamerweise gebrochen. Das „Schlimmstmögliche“ war passiert. (Noch kurz zuvor hatte ich in meiner EMDR-Therapie den interessanten Glaubenssatz entdeckt: „Wenn ich einen Fehler mache, passiert eine Katastrophe.“ Wie sich herausstellte, war das glatt gelogen.)

Ich war plötzlich nicht mehr im Tunnelmodus, und auf rätselhafte Weise fing mein Gehirn wieder an zu funktionieren.

Gutes Gespräch

Nach dem Interview meinte der Redakteur, ihm hätte unser Gespräch gut gefallen. Ich sei persönlich und authentisch gewesen und nicht so aalglatt wie viele „Experten“. Ich konnte ihm gar nicht glauben.

Zwei Tage später stellte ich dann mit butterweichen Knien das Internetradio an. Ich hatte ernsthaft überlegt, mir diese Schmach zu ersparen und einfach nicht einzuschalten. Zu sicher war ich meines eigenen Scheiterns. Meiner eigenen Schmach.

Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und schaltete ein. Was soll ich sagen? Es war gut geworden. Meinen Fadenriss hatte der Redakteur dankenswerterweise rausgeschnitten. Doch ich war ehrlich überrascht, wieviel fundiertes Wissen ich in fünfzehn Minuten Interview untergebracht hatte. Fast zu viel für einen Laien, wie meine Mutter später bemerkte. Nun ja, es gibt ja eine „Wiederholen“-Taste.

Alles halb so wild

Doch was mich am meisten frappierte, war, wie wenig meine Haspler auffielen. Ja, ich setzte manchmal neu an und stolperte über meine Worte. Aber die Wirkung war bei weitem nicht so dramatisch, wie ich es mir in meinen Katastrophenphantasien ausgemalt hatte.

Ja, mehr noch. Kollegen sprachen mir später ihr Lob aus und meinten, ich hätte das professionell gemacht, und man habe mir meine Aufregung gar nicht angemerkt.

Da machte etwas in mir Klick.

Eigen- und Fremdwahrnehmung

Zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung können Welten liegen. Und wie man so schön sagt, sind wir selbst oft unsere schlimmsten Kritiker. Ein Grund mehr, bisweilen eine Realitätsprüfung zu riskieren. Und ein Risiko war es. Glaubt es mir.

Doch ich habe ein Ergebnis geliefert, auf das ich stolz sein kann. Wie stolz, kann vielleicht nur jemand begreifen, der selbst unter toxischer Scham leidet.

Ich habe die Herausforderung gemeistert, obwohl ich dabei fast gestorben wäre. Und das Ergebnis war viel, viel besser, als ich zu hoffen gewagt habe.

Was lernen wir daraus? Wir betrachten unsere eigenen Fehlern gerne mit dem Extra-Extra-Zoom. Weisen wir eine andere Person darauf hin, guckt die uns unter Umständen mit großen Augen an und sagt: „Ach, ist mir gar nicht aufgefallen.“

Das nenn ich verzerrte Wahrnehmung! Beim nächsten Mal wird´s einfacher.

So, und jetzt könnt ihr euch selbst ein Urteil bilden. Hier geht´s zur Aufnahme.