Wenn jemand unseren persönlichen Raum verletzt, reagieren wir mit Scham. Wir fühlen uns bloßgestellt und den Blicken anderer hilflos ausgesetzt. Scham ist eng mit dem Gesichtssinn, d.h. mit dem Sehen und gesehen werden verbunden. Reagieren andere mit Abwertung, Kritik oder Zurückweisung, fühlen wir uns beschämt und bedroht. Schamreaktionen laufen körperlich und gedanklich ab, und sie sind extrem schmerzhaft.

Wir reagieren in einer Schamsituation, wie wir auch auf ein existenziell bedrohliches, d.h. potenziell traumatisierendes Erlebnis reagieren. 

In solch einer Situation bleibt uns nur noch,

  1. zu flüchten bzw. uns zu verbergen,
  2. anzugreifen oder
  3. uns tot zu stellen.

Unser gesamter Organismus meldet höchste Alarmstufe. Das Erleben überfordert uns. Wir fühlen uns von der Situation regelrecht überrollt.

Dadurch verlieren wir die Fähigkeit, „angemessen“ oder „vernünftig“ zu reagieren. Wir büßen – zumindest vorübergehend – unsere Geistesgegenwart und Selbstkontrolle ein. Das liegt daran, dass eine sehr alte Hirnregion, das Reptiliengehirn, die Führung übernimmt. Scham in Worte zu fassen, ist kaum möglich.

Zugleich kann es uns regelrecht die Sprache verschlagen. Wir fühlen uns wie gelähmt, und es scheint, dass unser Organismus uns davor schützt, weitere Dinge preiszugeben, die uns noch verletzlicher machen würden.

Schamgefühle dauern so lange an, bis eine Situation abgeschlossen ist. Doch nicht immer klären oder lösen sich Situationen. Entsprechend kann ein Schamerleben Stunden, Tage, Monate oder im schlimmsten Fall ein ganzes Leben lang dauern.

Schwierig ist es, wenn wir häufig von Schamattacken betroffen sind. Kinder können beispielsweise nachhaltig in ihrem Lernen behindert werden, weil ihr Neokortex (zuständig für unser „modernes Denken“) regelmäßig offline geht.

Inneres Schamerleben hat viel mit Traumaerleben zu tun, und entsprechend können auch Traumamethoden helfen, uns wieder handlungsfähig zu machen.