Schamheilung ist wie ein langer Heimweg. Unterwegs kannst du das Gefühl entwickeln, nie anzukommen. Du hast schon so viele Kurven genommen, so viele Umwege gemacht, dass du manchmal drohst, auf halbem Weg verloren zu gehen. Und es ist wie verhext: Jedesmal, wenn du sicher bist, um die letzte Ecke zu biegen, kannst darauf wetten, dass sich ein neues Hindernis auftut.

So ist es auch mir kürzlich wieder ergangen. Wenn du so viel Zeit und Mühe in die eigene Heilung gesteckt hast, kommt irgendwann der Punkt, wo du die Nase gestrichen voll hast. Du willst endlich ein finales Resultat. Ein eindeutiges Ergebnis. Den Stempel (und Zustand!) „geheilt“. Rate mal, wie gut das funktioniert. Richtig – gar nicht.

Immer wieder, wenn ich ein interessantes Buch zum Thema lese, passiert das Gleiche. Vieles erkenne ich wieder, was ich bereits verstanden, gelöst und selbst entdeckt habe. Und dann kommt unweigerlich der Punkt, wo ich etwas Neues finde. Etwas, was ich noch nicht gesehen hatte. Einen Zusammenhang, der mir bisher verborgen war. Eine weitere Tiefe. Eine weitere Dimension. Eine (oder zahlreiche) weitere Möglichkeit, den Dingen auf den Grund zu gehen. Das kann einerseits Aufregung und Freude, aber auch Scham auslösen. Zuletzt hat es eher Letzeres mit mir gemacht.

Scheiße. Das auch noch. Ich bin vollkommen vermurkst. (Achtung, Selbsturteil!)

Vermurkst! Vermurkst?

Auch mit einer Freundin sprach ich kürzlich über diese Erfahrung. Wir graben und graben, und immer rutscht neue Erde nach. Doch wenn wir so tief gegraben haben, sehen wir am Ende nur noch Erde um uns. Wie sollen wir da noch feststellen, wie weit wir gekommen sind? Es sieht so aus, als hätten wir keinerlei Fortschritt gemacht. Die Erde ist immer noch gleich scheißbraun.

Ich denke, es war so ein Moment, dass ich beschloss, mal wieder ans Tageslicht zu kommen. Plötzlich war nämlich diese Frage in mir. Was würde ich tun, wenn ich mich mehr lieben würde? Und mit einem Mal richtete ich den Blick nach oben.

Was würde ich tun, wenn ich mich mehr lieben würde?

Was glaubt Ihr, was ich entdeckte? Hölle, was für ein tiefes Loch hatte ich gegraben! Das Tageslicht war weit, weit über mir. Ich hatte es weit gebracht.

Und dann war da diese kleine, freundliche Frage. Was würdest du tun, wenn du dich mehr lieben würdest?

Die Antworten prasselten nur so auf mich hernieder. Da, wo vorher Perspektivlosigkeit, Frust und Stagnation gewesen waren, entstanden Bilder vor meinem inneren Auge. Leuchtend, pulsierend, kraftvoll. Etwas in mir begann zu leuchten. Mein innerer Ratgeber schien nur darauf gewartet zu haben, endlich gefragt zu werden.

Was würde dir gut tun?

Ich merkte plötzlich wieder, dass ich noch Träume habe. Dass ich Lust auf Leichtigkeit habe. Auf Luft zum Atmen. Mein tiefes Loch, ja, das ist schon was. Darauf bin ich echt stolz. Ich bin auf viele Dinge gestoßen. Aber ganz ehrlich: sollen all die Schätze in der Tiefe der Erde stecken bleiben? Oder bin ich nicht angetreten, sie freizulegen, um sie ans Licht zu befördern?!

Mit jeder Minute, die ich diesen inneren Dialog fortsetzte, wurde mir leichter ums Herz. Selbstliebe ist verdammt radikal.

Und mit den Visionen kam der Wunsch, sie in die Tat umsetzen. Rrrrrummmmms. Da geschah es. Unerwartet. Das innere Licht verlosch wieder, und ich saß in der Angst.

Nicht schlau genug. Nicht attraktiv genug. Nicht gut genug.

Ich hatte Angst, mich selbst zu lieben. Es war nicht so, als könnte ich es nicht. Wenn das mal keine neue Erkenntnis war. Aber, zum Teufel, wieso?!

Und indem ich mir all diese nährenden, schönen, erfreulichen Aktivitäten erneut zaghaft vorstellte,  begriff ich, dass ich Angst vor Sanktionen hatte. Ich erwartete, für meine Selbstfürsorge bestraft zu werden. Dreimal dürft Ihr raten, wieso. Nun, weil genau das wieder und wieder passiert ist.

Liebst du mich auch noch, wenn ich mich selbst liebe?

Ich habe also gelernt zu erwarten, dass ich verlassen (d.h. nicht mehr geliebt) werde, wenn ich mich selbst liebe. Daraus habe ich offensichtlich irgendwann abgeleitet, dass ich mich entscheiden muss. Entweder deine oder meine Liebe. Und da ich von deiner Liebe und Zuwendung abhängig war, habe ich meine eigene aufgegeben.

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich spüre diesen dicken Stein in den Eingeweiden. Spürt Ihr auch die Tragweite dieser Aussage? Das ist kein Kinderkram. Wieso eigentlich Kinderkram? Wieso mache ich es runter, ein Kind zu sein?

Und plötzlich stehe ich im Feuer. Ich begreife, dass ich mit meiner „Unfähigkeit“ (eigentlich Schamangst), mich selbst zu lieben, noch immer den alten, äußeren (!) Gesetzen gehorche. Dass ich noch immer vom Urteil der anderen abhängig bin. Ich habe mich bis heute nicht von ihrem Verbot emanzipiert. Wenn das kein Stolperstein ist!

Glaubenssätze hinterfragen

Unter dem Licht der winterlichen Sonne kann ich nun plötzlich meine eigene Überzeugung hinterfragen. Ich darf mich nicht selbst lieben. Ich darf nicht für mein Wohlbefinden sorgen.

Oder etwa doch?

Und was würde ich tun, wenn ich mich selbst mehr lieben würde?

Ich würde noch etwas länger in der Sonne sitzen bleiben. Das Loch kann warten.